DER KASPERL IM PAPIERTHEATER
Eine Provokation für Papiertheaterliebhaber oder eine sinnvolle Weiterentwicklung?
Eingangs muß ich gestehen, es überhaupt nicht zu wissen, ob es bei den sogenannten klassischen Papiertheaterbögen auch eine Kasperl-, Kasper-, Hans Wurst-, Pulcinella- oder ähnliche Figuren gegeben hat. Ich bin nicht enmal ansatzweise Papiertheatersammler und verfüge daher auch nicht über die Kenntnis, ob die Figur des Kasperl Eingang in den Papiertheaterkanon gefunden hat oder nicht.Jedenfalls weiß ich aber, daß eine sogenannte LUSTIGE FIGUR eingang in das FAUST-Drama des Christopher Marlowe gefunden hat, als man anläßlich dessen Aufführung zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Graz einen Schauspieler suchte, der die Zuschauer in deutscher Sprache durch das sonst in englische gespielten Stück begleiten sollte. Diese LUSTIGE FIGUR wurde letztlich auch in das sogenannte Volksbuch DER WELTBERÜHMTE DER DOKTOR FAUST aufgenommen, welches von Puppenspielern bis heute verwendet wird.
Da ich mich im weitesten Sin als Figurenspieler sehe, sind für mich die Grenzen auch viel weiter gesteckt, als für jene Papiertheaterspieler, die sich dem sogenannten "Klassischen Papiertheater" verpflichtet fühlen. Ich habe daher auch keinerlei Scheu vor Innovationen im Spiel auf meinem Bühnchen und ich habe auch vor - ähnlich dem Vorbild des KÖLNER KÄSTECHENTREFFENS - die Darstellungsformen und Spielinhalte ähnlich weit zu fassen.
Papiertheater im Puppentheater
Seit Jahren habe ich die Ehre, als sogenannte Gastbühne im MÖP-Figurentheater, in Mödling bei Wien, mit meinem Bühnchen auftreten zu dürfen. Es wird dort die Kultur des Figurentheaters in seiner vielfältigsten Form gepflegt: von der offenen Spielweise über Objekttheater, Handpuppen, bis zum Papiertheater. Ich habe dort - vor dem Publikum zwischen 5 und 9 Jahren schon meine "Papiertheater-Opern" ebenso gespielt, wie meine Papiertheater-Märchen und Weihnachtsstücke.Jedesmal aber fragten die Kinder, OB HEUTE AUCH DER KASPERL komme. Bringen die Eltern oder Großeltern die Kinder doch ins KASPERLTHEATER. Es mußten dann immer Erklärungen herhalten, wie :"Der Kasperl hat heute Urlaub" oder "Der Kasperl hat eine schmutzige Hose und kann heute nicht spielen".
Martin Müller vom MÖP spielt seit dem letzten Jahr das Märchen vom NUSSKNACKER - im Papiertheater(!). Ich habe für das MÖP dafür sämtliche Figuren und Bühnenbilder gezeichnet. Bei dem sehr zahlreichen Personal es auch den (sehr schönen) MÖP-Kasperl. So bekam ich die Idee, diese Figur in einem meiner Märchen einzusetzen. Mit Genehmigung des MÖP spielt seit dem 7.3.14 der Kasperl eine kurze Rolle in meinem Stück DER GESTIEFELTE KATER.
Die Figur muss ein Kunststück können
Die Figur des Kasperl ist immer ein Tausendsassa, die sehr frech und respektlos mit allen Problemen des Lebens fertig wird. Ja es gibt sogar ein Wienerlied mit dem vielsagendem Titel DEN KASPERL KANN KANER DERSCHLOGN. Es bestand also die Herausforderung für mich, einer statischen Papiertheaterfigur durch eine Bewegungsmöglichkeit Leben zu verleihen. Bei dieser ersten Version des Kaperls kann ich ich durch einen einfachen Seilzug und einer Feder den Kopf des Kasperls sehr rasch hin- und herwenden. Damit erhält die Figur eine grotteske Beweglichkeit, die nicht real ist.Der kurze Auftritt bringt den gewünschten Erfolg
Die von mir - für die Bedürfnisse des Papiertheater - erfundene Stegreifhandlung DES GESTIEFELTEN KATER läßt den KATER nach erfolgreicher Rebhuhnjagd im Wald den Haushofmeister des Königs treffen, um diesen zu bitten, die Rebhühner mit den besten Grüßen seines Herren, des Graf von Carabas dem König bringen zu wollen. Nach vielen Versuchen, dem - mit ausländischem Akzent sprechenden - Haushofmeister den Namen Graf von Carabas bei zubringen, wird diese "Bestechung" endlich zum König gebracht.
Genau diese Szene habe ich gewählt und habe anstelle des Haushofmeisters die Figur des Kasperl gestellt. Hier kann ich - sehr zum Gaudium des sehr jugen Publikums - alles Kasper-Möglichkeiten ausprobieren, welche die Kinder vom Kasperltheater kennen.
Es ist mein Prinzip bei allen Stücken, in jedem Bild irgend eine Bewegung in die vornehme Papiertheaterstatik zu birngen. Der Erfolg, den ich bei den ersten beiden Vorstellungen nach dem ROLLENDEBUT des KASPERL hatte, hat mir Recht gegeben. Es gibt einen Dialog zwischen den Figuren und dem Publikum. Das kleine Publikum (aber auch das große) wird dadurch aus der Passivität geholt. Ich bin überzeugt, daß es mir auf diese Weise gelingen wird bei den kleinen Zuschauern einen ANKER gesetzt zu haben. Einen Erinnerungsanker für das PAPIERTHEATER.
Dietger Dröse bemerkt in seinem letzten AUFGESCHNAPPT (3/14) dazu folgendes:
AntwortenLöschen"Bei meinem Besuch in der Radeckgasse konnte ich mich selbst davon überzeugen, welche Faszination im Papiertheater für Kinder eine solche Kommunikationsfigur hat. Ulrich Chmel ist sicherlich ein Meister dieser Theaterform.
Auch das „klassische“ Papiertheater kannte schon die Figur des Kasperl, der allerdings in den entsprechenden Stücken nicht die Nebenrolle, sondern die Hauptrolle spielte.
Im Verlag von Gustav Kühn gab es „für das Kindertheater bearbeitet“ unter den „Jugendstücken“,„Kasperle in Schulden“ zusammen mit dem Figurenbogen 9359 mit folgendem Inhalt:
Kasperl ist faul, säuft, macht Schulden. Schneider und Schuster, die ihre Schulden beitreiben wollen, werden hinausgeprügelt. Dann erscheint ein spanischer Graf, der Kasper in seine Dienste nimmt, obwohl jener ihn zunächst einmal gegen die Nase getreten hat. Doch Kasperl macht alles falsch, der Graf schlägt ihn und Kasperl schlägt ihn tot. Kasperl stellt sich tot, als die Polizei in festnehmen will, wieso das dann nicht geschieht, bleibt Stückgeheimnis, denn Kasperl gibt dem Totsein Lebenszeichen, weil ihn ein Floh sticht. Auch des Teufels Großmutter kann ihn nicht mit in die Hölle nehmen, auch sie schlägt er tot und geht sodann mit seiner Kasperline Spinat essen.
Auch Oehmigke & Riemschneider ist – ebenfalls „für Kindertheater bearbeitet“ - mit „Kasper und der Teufel“ nicht weniger zimperlich: Kasper kommt nach Hause und findet seine Frau, seine Schwiegermutter und den Hausierer wie er zunächst meint, sturzbetrunken und schlafend. Er greift selbst zur Flasche Nordhäuser, die er leer trinkt. Jetzt stellt er fest, daß die drei versehendlich Scheidewasser getrunken haben und anscheinend tot sind. Versehentlich ruft er den Teufel, der ihn mitnehmen will. Er bietet die drei “Toten” an, doch der Teufel mag keine Toten. Aber ein bißchen Leben ist doch noch in den dreien, so daß der Teufel die beiden Frauen mitnehmen will, damit diese mit seiner Großmutter tratschen können, der ebenfalls zu entsorgende Hausierer müsse aber freiwillig mit in die Hölle kommen. Während der Teufel vor der Tür wartet, versucht Kasper zunächst die Großmutter, dann seine Frau zurück ins Leben zu schlagen. Beide reagieren jedoch nicht auf Schläge, sondern schließlich auf Versprechungen und eilen in die Arme des Teufels. Durch einen Trick gelingt es Kasper, auch Jakob freiwillig zur Hölle zu bewegen, so daß er den beim Teufel erhandelten Lohn, jeden Tag ein dutzend Bockwürste mit Beilagen und zehn Taler Kleingeld in Empfang nehmen kann.
Neben dem weiteren Possen-Text „Kasperle als Schatzgräber“, den Gustav Fritz für das Papiertheater U. Kerns verfasste, sind die genannten Stücke bei DIETGER DRÖSE erhältlich."