Samstag, 28. März 2015

Imagination

Ein Stück für das Papiertheater von Ulrich Chmel, mit der Musik von Karlheinz Essl

Ein Vorbericht


Spricht man vom Papiertheater,  denken „Eingeweihte“ sofort an die Darstellungsform des 19. Jahrhunderts. Egal welche
traditionelles Papiertheater
Foto: A.Hager, Wien
„Papiertheaterverlage“, die allermeisten haben bereits im 19. Jahrhundert ihre Papiertheatermaterialien produziert und vertrieben, nota bene war natürlich alles so gezeichnet, wie die Zeichner die Dekorationen und Figuren in den Theatern damals gesehen und erlebt hatten. Naturgemäß waren auch die Themen, Themen die damals en vouge waren. Wie letzthin ein Papiertheaterfreund auch sehr richtig bemerkte: Die Themen und ihre Darstellungsformen waren massentauglich, d.h. sie waren auch kommerziell erfolgreich zu verwerten.

Diese Darstellungsform wird naturgemäß von den Papiertheaterspielern des 20. Jahrhunderts und des 21. Jahrhunderts übernommen, da diese Materialien als Nachdrucke vorhanden sind und es kaum bis gar keine Vorlagen aus neuerer Zeit vorliegen.  Der Grund dafür ist einfach: Papiertheater ist im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts aus der Mode gekommen.  Papiertheater war nicht mehr „massentauglich“.

Papiertheater und eigenständige Ideen

Wenige Papiertheater Begeisterte gab und gibt es, die Stücke selbst entwerfen und zeichnen und damit die Möglichkeiten für das Papiertheater bis in die Formen der Gegenwartskunst hinaus ausweiten. Meine Kenntnis der europäischen Papiertheaterszene ist sehr gering, aber ich kenne doch immerhin schon Gabriele Brunsch, Harry Oudekerk,  Per Brink Abrahamsen, Gerhard Weiß, Betsy pappcartoon, Haases Papiertheater, Grims Papierteater, Lena Lang (Kusthochschule Kassel) und das KÖLNER KÄSTCHENTREFFEN , die alle eine sehr eigenständige Form des Papier- bzw. Objekttheaters im Papiertheaterformat entwickelt haben und diese öffentlich vorführen.

Auch ist es so, daß Papiertheaterspieler, welche sich mit den traditionellen Formen beschäftigen, sich schon modernster Bühnentechnik, was z.B. das Licht, Musik und Aufzüge betrifft, bedienen. Kaum gibt es noch Papiertheaterspieler, welche bei Kerzenlicht spielen und über eine Klavierbegleitung verfügen. Die Verwendung der modernen Technik ist auch bei den traditionellen Papiertheaterspielern selbstverständlich geworden.

Einfluss vom Objekttheater


Ich hatte vor einigen Jahren das Glück Vorstellungen der Objektkünstlern des KÖLNER KÄSTCHENTREFFENS erleben zu dürfen. Dabei habe ich den Anstoß dafür erhalten, selbst über die Produktion eines solchen Stückes nachzudenken. Losgelöst von allen Vorbildern wollte ich eine vollkommen eigenständige Geschichte entwickeln. Idealer Weise sollte es eine solche ohne gesprochenes Wort sein, um sie allen Menschen ohne Sprachgrenze vorführen zu können. Insgesamt ist dem Figurentheater das Spiel mit Objekten nicht fremd. Es gibt eine Reihe von großartigen Vertretern dieser Richtung.

Im März 2014 wurde ich von einer Puppenspielerin bestärkt, dieser Idee nachzugehen. Eines schönen Morgens hatte ich  beim Frühstück den zündenden Funken: Bilder berühmter Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts zu collagieren und zu decollagieren. Es sollte für mich ein erster Schritt auf diesem neuen Terrain sein.

Gespräche mit dem befreundeten zeitgenössischen Maler Helmut  Magreiter und der Kuratorin des Kunststauhauses von Daniel Spörri, Frau Barbara Räderscheidt über das von mir erarbeitete Konzept, wiesen dann für mich in die richtige Richtung, um mit den wirklichen Arbeiten zu beginnen.

Ziemlich zeitgleich entdeckte ich, bei der letzten Renovierung des Bühnenlichtes, durch Zufall die Möglichkeit UV-Licht  sehr einfach zu montieren. Diese Entdeckung war ein weiterer wichtiger Schritt für die Entwicklung meines neuen Stückes. Plötzlich konnte ich auch daran  denken, Mittel des Schwarzen Theaters einzusetzen. Es folgte nun sehr aufregende 12 Monate, in welchen ich fast täglich damit beschäftigt war, an diesem Projekt zu arbeiten.

 imagination entsteht


einige Bestandteile des Geschehens
Am Beispiel des Werkes von René Magritte DER MAN MIT DEM HUT möchte ich meine Ideen aufzeigen, was ich mit den Bildern machen wollte und wie ich die technische Umsetzung anging. Die Idee René Magrittes war, den Betrachter darauf aufmerksam zu machen, daß alles anders gesehen werden kann, als wir es gewohnt sind zu sehen. So zeigt das Bild DER MANN MIT DEM HUT eine männliche Figur im grauen Anzug, weißem Hemd und roter Krawatte. Dieser Mann trägt auf dem Kopf einen Bowler (in Wien sagt man dazu Melone). Die Figur steht vor einem altrosa Hintergrund. Aber, ganz im gewohnten Stil ist diese Abbildung nicht, denn Rumpf, Gesicht und Hut sind separiert und nicht als ein Wesen dargestellt.

Eine Geschichte entsteht

Dieses Bild war für meinen Anfang wie geschaffen, denn ich konnte es herrlich einfach  manipulieren. Noch dazu ist es ein sehr grafisches Bild, welches man sehr leicht „zerlegen“ kann. Die Grundidee war Kopf, Hut und Rumpf auf die Bühne „schweben“ zu lassen und erst dort zum gewohnten Bild zusammenzusetzen. Aus dieser Grundidee ist folgende „Geschichte“ geworden:

Aus dem Nichts kommend, gleiten zwei  Bestandteile aus dem bekannten Werk von Magritte vor unseren Augen vorüber. Eine weiße Taube führt eine rotierende eine schwarze Figur über die Bühne, während auf der anderen Seite ein Bowler erkennbar wird, welcher in der Mitte den „Mann mit dem Hut“ als Kontur vor einer Magritte Landschaft mit dem Mond, zeigt.
Der Mann mit dem Hut als Umrißfigur


Als beide Teile  nicht mehr sichtbar sind, wird langsam der Umriß eines Bowlers mit altrosa Hintergrund sichtbar. In diese Ausnehmung schweben unerwartet zunächst der Kopf, dann der Hut und zum Schluß der Körper aus dem bekannten Bild. Diese „Bestandteile“ verharren zunächst dezentral um erst nach einer kurzen Zeit die tatsächliche Figur zu bilden. Nun erst kann der Betrachter an das berühmte Werk von René Magritte denken. Doch bald schon wird dieser Eindruck, diese Imagination wieder dekonstruiert. Die Teile verschwinden wieder, ebenso der altrosa Bowler. Schon glaubt der Betrachter, das Ende dieses Traumbildes erlebt zu haben. Doch es kommt anders. Nach dem Verschwinden des Bowlers erkennt der Betrachter die Figur des „Mannes mit dem Hut“ vor dem Bühnenhintergrund. Doch auch diese Figur ist Imagination, den allmählich wird sie vom schwarz der Bühne verschluckt und ist nicht mehr sichtbar. Als Zeichen, daß wir es hier mit einem Werk nach Magritte zu tun gehabt haben, fliegt die leuchtend weiße Taube von links nach rechts an uns vorüber.




Dies bedeutet die Herstellung folgenden Bühnenbedarfes:
 


·         Ein absenkbares Bühnenbilde, in welcher die Schiebemechanik für den Zuschauer unsichtbar bleibt

·         Die drei Einzelteile der Figur: Hut, Kopf und Rumpf

·         Eine rollende Figur mit einer weißen Taube

·         Ein Bowler mit blauen „Magritte-Nachthimmel“

·         Ein drehbare Figur „Der Mann mit dem Hut“

·         Ein weiße Taube


Die größte Herausforderung dabei war für mich die Schiebemechanik, um Hut, Kopf und Rumpf auf die Bühne zu bringen, bzw. wieder entschweben zu lassen. Diese erfordert  Gelenke  in der Dimension von 2 – 3 mm.

Zunächst zeichnete ich die Figur vom Originalbild ab, um sie dann für meine Zwecke zu adaptieren. Danach colorierte ich die Figur und den Hintergrund etwa in der Art, wie es Magritte gemacht hatte.

Die Schiebemechanik
Auf diese Weise erarbeite ich 7 Episoden für dieses Stück, unter Bearbeitung von Werken von Daniel Spörri, Helmut Magreiter, René Magritte,  Niki de St.Phalle, Piet Mondrian und A. Katz. Dazu kam noch eine Eröffnungs- und  ein Schlußbild, sowie eine „verbindende Figur nach dem Vorbild von Oskars Schlemmers Triadischen Ballett.

Die Musik als wesentlicher Motor dieses Stückes

Gerne nenne ich imagination ein absurdes, oder auch surreales Stück. Es werden Abkäufe dargestellt, die bloß in der Phantasie möglich sind. Diese Abläufe gestatten es dem Zuschauer aber auch seiner Phantasie vollkommen freien Lauf zu lassen.

Schon zu Beginn der Produktion fand ich den Kontakt zum zeitgenössischen Komponisten Karlheinz Essl, der an der Wiener Musikuniversität experimentelle und elektronische Musikkomposition lehrt. Essl war von meinem Konzept begeistert und nahm einen Kompositionsauftrag für dieses Stück von mir an. Essl bat sich Videos von den fertigen Episoden aus, um in Echtzeit die Musikstücke dafür zu komponieren.

Essls „Tonwerk“ zu diesen surrealen bewegten Bildern wirkt wie ein Zauber, der die Aufmerksamkeit des Zuschauers voll in den Bann zieht. Jeder von uns beiden hat für sich  nach seiner Phantasie gearbeitet und doch hat die Zusammenfügung beider Komponenten ein ganzes ergeben, wie es besser hätte nicht werden können.  Diese elektronische Musik ist zum Motor dieser Handlungen geworden. Es ist die Klammer zwischen der biedermeierlichen  „Technik aus Karton, Sperrholz, Papier und Farbe“ und der auf dem Computer komponierten und generierten Musik. Vielleicht steckt darin der Reiz. Es ist ein Experiment.

Hier gibt es enen ersten Trailer auf der website von Karlheinz Essl zu sehen: http://www.essl.at/works/imagination.html

Schwarzes Theater

Alle Macht den Nanas
Wer kennt nicht das „Schwarze Theater“ aus Prag. Das ist eine Quelle der Phantasie schlechthin. Auf einer vollkommen schwarz ausgekleideten Bühne führen schwarz gekleidete Puppenspieler Objekt und Figuren in Leuchtfarben. Alles wird mit UV-Licht „beleuchtet“,  so daß für den Zuschauer ein andauernd schwebender Eindruck entsteht. Nicht ganz so vollkommen habe ich imagniation eingerichtet. Die Bühne ist vollkommen schwarz ausgekleidet und die meisten Figuren und Objekte sind aus Leuchtkarton, bzw. sind mit Leuchtfarben ausgestattet. Dadurch werden manche Abläufe erst wirklich interessant und surreal.

imagination wird im Kunststauraum von Daniel Spörri uraufgeführt

 Ich kann heute noch nicht voraussehen, wie dieses Stück vom Publikum rezipiert werden wird. Allerdings ist das Interesse daran heute bereits sehr groß und sehr viele Freunde und Bekannte und auch Stammgäste warten schon sehr auf die ersten Aufführungen. Wie immer bei meinen Stücken, habe ich eine Aufführungsdauer von ca. 40 Minuten gewählt. Jede „Episode“ dauert ca. 5 Minuten und ist daher auch geeignet ohne Anstrengung aufgenommen zu werden.

Traditionelles Papiertheater wird weiterhin gepflegt
 
Das wird Rotkäppchen
Dieser Abstecher in die Moderne ist in keiner Weise eine Abkehr von der von mir gepflegten Form des Papiertheaters. Beide Formen sollen gleichberechtigt nebeneinander bestehen und ihr Zielpublikum ansprechen. Nicht umsonst habe ich in den 13 Jahren meines „Papiertheaterlebens“ schon an die 490 Vorstellungen im In- und Ausland gespielt und sehr vielen Zusehern, Kinder und Erwachsene,  große Freude bereitet. Eine ganze Reihe von Stammgästen  besuchen immer wieder meine Vorstellugen und warten schon auf die neuen Stücke. imagination wird den Kreis meines Publikums erweitern.