Nach der Herbergsuche kam ein Junger Mann zu mir, bedankte sich dafür, daß es mir gelungen war ihn mit dem Papiertheater und mit meinem Stück ein klein wenig aus der "Vorweihnachtshektik" befreit zu haben und kündigte mir an, darüber in einer sehr verbreiteten Tageszeitung schreiben zu wollen. Mit Freude stelle ich diesen Artikel nun in meinen Blog:
Weihnachtstheater
Es folgt die Zwischen-den-Jahren-Kolumne. Unter Horowitz – unser-Chef
a.D. – musste ich immer zurückblicken aufs alte Jahr, was mir widerstrebte. Für
Horo tat ich es dennoch. Jetzt, da ich es nicht mehr muss, blicke ich zurück:
Aber nur ein Stückerl. In die späten Dezembertage, als ich noch einen Weg in
Sievering hatte: Mit Liebster, Brut und Adventklängen in der Brust fuhren wir
adventjausnen zu Lieblingscousine A. und ihrem Liebsten M. Man reichte uns gute
Sachen. Kekse, Maroniherzen und das leiwande Chili des M. Vor allem aber bot
man mir das gleich zweite (!) Weihnachtswunder dieses meines Vierzehnerjahres:
das Papiertheater des Ulrich Chmel, der uns eine Weihnachtsvorstellung spielte.
Ich, der ich zweiter Linie zwar Theaterautor, in erster aber Theaterskeptiker
bin, hatte von so einem Papiertheater schon gehört. Jetzt ließ ich es mir von
Herrn Chmel nochmal erklären. Es ist eine Erfindung des Biedermeier, als das
suburbane Volk weder Zeit, noch Geld noch soziale Möglichkeit hatte, die chicen
Bühnen in der Inneren Stadt zu besuchen. Chmel erzählte von einer Welt ohne
Strom, ohne luminale Inflation, ohne dem technischen Gezwitscher des
„Kommunizierens“. Er schilderte, wie die Menschen ihre dramatis personae mit
der Schere ausschnitten und auf laubgesägte Figuren leimten. Wie man dann die
Räume abdunkelte und in schuhschachtel- bis hendlstall- großen Bühnen die
großen Dramen der Menschheit spielte. Dazu, sagt Chmel, erklang die Hausmusik.
Ich versank auf dem Sieveringer Sofa, nahm bewildered zur Kenntnis, wie
mucksmäuschenstill meine Brut in den vorderen Reihen sich verhielt, und das
Stück begann. „Jessasmariaundjosef“, eine Weihnachtsgeschichte im Milieu der
Wiener Immigranten des 19. Jahrhunderts – der „Ziegelbehm“ von Favoriten.
Ulrich Chmel verwandelte sich nun gleichermaßen in Motor, Seele und Hirn seines
Theaters. Er hechtete von einer komischen Figur in die nächste, inzwischen
veränderte er den Weg seiner winzigen Lichtlein und verschob burleske
selbstgemalte Kulissen. Als das Stück endete, schnitt ich ein letztes
Maroniherz ein und bemerkte, dass meine etwas ruckelig gewordene innere Uhr
wieder richtig ging. Ich dankte Ulrich Chmel und warf mich in die letzten Tage
weihnachtlichen Wahns.
wienmitte
ernst.molden@kurier.atKURIER
Woche 52 (Sa 27.12.14)
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